Die dreifache Wurzel der Klimakrise
Die Klimakrise ist eine Vertrauenskrise, eine Moralkrise, eine Glaubenskrise.
Der Klimawandel erfüllt mich mit Sorge. Nachdem, was über die Folgen des Klimawandels gesagt wird, ist das keine irrationale Angst, sondern eine berechtigte Befürchtung. Schon zu Beginn meiner Beschäftigung mit der Thematik vor fast zwei Jahrzehnten waren die Warnungen nicht zu überhören.
Lange vor Greta Thunberg und „Fridays For Future“ gab es allen Grund zur ernsten Besorgnis.
Dass daraus bei einigen Menschen mittlerweile „Panik“ geworden ist, liegt nicht an mangelnden Erkenntnissen der Wissenschaft, sondern an der jahrzehntelangen Untätigkeit der Politik.
Zwar hat es Beschlüsse gegeben, die wichtige Ziele formulierten und auch feststellten, wie diese zu erreichen sind, allein an der beherzten Umsetzung der Maßnahmen zur Zielerreichung haperte es.
Mittlerweile ist das anders: Die Rolle des Menschen als Einflussfaktor in allen klimarelevanten Prozessen ist allgemein anerkannt und zum Gegenstand politischen Handelns geworden.
Die Politik müht sich zunehmend um konkrete rechtliche Regelungen zur Etablierung von Klimaschutzmaßnahmen in der Gesellschaft – auch als Ergebnis sozialen Drucks, wie ihn „Fridays For Future“ auf die Straße gebracht hat.
Klimaforscher Stefan Rahmstorf fasst es zusammen:
„Nicht nur in der Natur, auch in der Gesellschaft gibt es Kipppunkte. Die Schülerbewegung Fridays for Future hat die gesellschaftliche Diskussion schon deutlich verändert, unterstützt von den mehr als 26.000 Wissenschaftlern von Scientists for Future und zahllosen anderen“.
Gleichzeitig ist es allerdings so, dass mit diesen unübersehbaren sozialen und politischen Prozessen die Öffentlichkeit mit dem ehedem akademischen Thema Klimawandel mehr und mehr in Berührung kommt. Und in dieser Öffentlichkeit stehen nun die wissenschaftlichen Erkenntnisse selbst in Frage, zumindest in dem nicht-fachlichen öffentlichen Diskurs, wie er insbesondere in den Sozialen Medien stattfindet. Der Aufstieg dieser Kommunikationsform in den vergangenen zehn Jahren trägt mit dazu bei, dass in der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit ein Streit tobt, der innerhalb der Wissenschaft nicht mehr stattfindet und über den die Klimawissenschaftler kollektiv den Kopf schütteln.
Man versucht also, die Veränderung in der Gesellschaft dadurch zu stoppen, dass man ihre Quelle untergräbt: die wissenschaftliche Erkenntnis. Das verfängt nicht, klar. Doch es ist Teil einer Abwehrstrategie gegen Veränderung, die als solche ernst genommen werden muss. Daher ist es wichtig, den Klimaschutz und seine (kostspieligen) Maßnahmen ganz grundlegend klimawissenschaftlich zu begründen, immer wieder, immer genauer, immer besser.
Ich bin kein Klimaforscher. Ich war nie in der Antarktis, um im Eis zu bohren. Um ganz ehrlich zu sein, verlasse ich meinen Schreibtisch nur selten, wenn ich arbeite. Meine Erkenntnisse stammen aus der Lektüre dessen, was andere zu sagen haben. Klimaforscher, Klimaaktivisten, Klimaskeptiker. Ich betrachte die Dinge dann mit meinen Augen: Die Arbeiten der Klimaforscher wissenschaftstheoretisch, die Einlassungen der Klimaaktivisten und Klimaskeptiker soziologisch. Mir ist dabei aufgefallen, dass sich die Klimakrise im Diskurs als eine dreifache gesellschaftliche Krise zeigt: als Vertrauenskrise, als Moralkrise, als Glaubenskrise.
Vertrauenskrise
Menschen misstrauen einander. Und das ist auch gut so. Zumindest muss es wohl in der Evolution des Menschen Phasen gegeben haben, in denen es sinnvoll war, ständig auf der Hut zu sein. Die meiste Zeit hat der Mensch ohne Gesetze und Gerichte überleben müssen, ohne Polizei und Alarmanlage.
Heute haben wir das alles. Doch so ganz frei sind wir auch heute nicht von dieser ererbten Angst. Wenn wir etwas erfahren, das wir nicht begreifen können, weil es uns gedanklich oder räumlich entzogen ist, werden wir unruhig und skeptisch. Verschwörungstheorien, die sich auf dieses archaische Muster stützen, haben Konjunktur: Es gibt eine Gruppe, die mehr weiß als wir, und uns zu ihren bösen Zwecken benutzt.
Die Skepsis des modernen Menschen richtet sich auf Eliten. Gepaart mit – geben wir es ruhig zu – ein wenig Neid auf „die da oben“ fällt es uns schwer, Vertrauen zu entwickeln. Desto schwerer, je eher und je mehr wir den Eindruck haben, hinters Licht geführt und betrogen zu werden. Stellen nun Eliten Nachteile für uns in Aussicht, ohne dem Anschein nach selbst davon betroffen zu sein, wächst die gesunde Skepsis zu einem prinzipiellen Misstrauen, aus dem heraus es für die Eliten keinen argumentativen Ausweg gibt.
Autorität, Expertise, Befugnis – was auch immer Eliten ins Feld führen, es verstärkt nur den Eindruck, die Wahrheit verschleiern und die Ungerechtigkeit rechtfertigen zu wollen. Je mehr Argumente – auch wissenschaftliche – genannt werden, desto tiefer das Misstrauen, zumal alle, die Argumente liefern, ja selbst Teil der Elite sind. Eine für die Demokratie dramatische und für den Klimaschutz tragische Konstellation.
Moralkrise
Stellen die Eliten Ansprüche an die Moral, treffen sie auf ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Das Grundproblem moralischer Appelle liegt schon darin begründet, dass wir keine gemeinsame Moral haben, weil wir unterschiedlichen Ethiken folgen. Was uns zusammenhält, ist nicht die Moral, sondern das Recht. Immanuel Kant hat dies schon vor über 200 Jahren begriffen und damit – für Preußen resp. Deutschland – die philosophische Grundlage des Rechtsstaats geschaffen.
Dennoch kann man nicht alles gesetzlich regeln. Menschen brauchen Moralität und leben in den meisten Fällen auch danach. Den Nachbarn zu grüßen, „Bitte“ und „Danke“ zu sagen oder Geld für eine karitative Einrichtung zu spenden ist nirgendwo normativ verordnet. Trotzdem tun die allermeisten Menschen das.
Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz gibt es zwei Tendenzen: Einerseits entwickelt sich eine „Hypermoral“, die alles dem Klima unterordnen will und an jedem Grillwürstchen Anstoß nimmt, andererseits ist die Verantwortungslosigkeit eines „Weiter so!“ zu beobachten, das sich aus mangelndem Vertrauen und Bequemlichkeit speist.
Glaubenskrise
Religion als ein etabliertes und bedeutendes kulturelles Verständigungssystem muss auf den Klimawandel Antworten geben – und tut es auch. Gerade Christinnen und Christen sind in ganz unterschiedlicher Weise im Diskurs über das Thema Klimawandel aktiv. Kirchen- und Katholikentage finden seit Jahren „klimaneutral“ statt, es gibt seit 2010 den „Ökumenischen Tag der Schöpfung“, 2015 veröffentlichte Papst Franziskus seine ökologisch grundierte Sozialenzyklika Laudato si’.
Religion und Klimawandel stehen dennoch in einem uneindeutigen Verhältnis zueinander. Die Frage ist: Was dient hier eigentlich wem? Der Klimawandel der Religion – als neues Betätigungsfeld der Kirche (und wohl auch als Rechtfertigungsfigur) in säkularisierten Zeiten? Oder die Religion dem Klimaschutz – soweit deren machtvolle Sprachspiele helfen, das Thema im Diskurs prominent zu platzieren (und vielleicht auch immun zu machen gegen Kritik)? Entsteht mithin eine „Klimareligion“, welche die sakrale Tradition und die soziale Autorität der Kirche in die Umweltbewegung hineinträgt und sie so mit Sinngehalt auflädt, ja, unantastbar macht?
In der Tat gibt es beides in den großen, gleichermaßen kriselnden Kirchen in Deutschland: Zum einen wird von konservativer Seite versucht, das Engagement für Klimaschutz selbst als eine neue Religiosität zu bestimmen – selten affirmativ, zumeist, um sich dagegen zu positionieren. So wird rhetorisch eine Konkurrenz für das Christentum bzw. den in die Krise geratenen Glauben aufgebaut, geradezu ein „Feindbild“. Tatsächlich bietet sich der zuweilen pathetische Duktus der Klimaschutzbewegung dafür auch an. Zum anderen wird von progressiver Seite versucht, ein Engagement für Klimaschutz in die eigene Glaubenstradition einzubringen und dafür ebenfalls – nun aber ohne Zweifel affirmativ – religiöse Metaphern zu nutzen, die bekannt sind, aber doch in der Vergangenheit inhaltlich etwas weniger stark und höchstens unverbindlich gefüllt wurden: Bewahrung der Schöpfung, Schöpfungsverantwortung, Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung. Hier kommt es auf die Füllung dieser Worthülsen an, damit sie eben keine solchen bleiben.
Die Klimakrise lässt sich nur überwinden, wenn die Vertrauens-, die Moral- und die Glaubenskrise überwunden werden, denn nur so werden die Voraussetzungen für ein Handeln – Verzicht eingeschlossen – im Sinne des Klimaschutzes geschaffen und gefestigt.
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