Frau A. sucht Hilfe!

Sie bekommt - Anschuldigungen!

 

Pfleger M.

Die Patientin A. schildert mir am 08.05.2025 ihre Erlebnisse mit einem Pfleger und einem Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten in einer ostdeutschen Großstadt. Beides fand am 8. Mai 2025 statt.

Frau A. ist 25 Jahre alt, seit etwa 5 Jahren an einer rezidivierenden depressiven Störung erkrankt, die mit wiederholten schweren Episoden einhergeht sowie einer Reihe von teilweise lebensbedrohlichen Suizidversuchen und mehreren zum Teil mehrmonatigen Psychiatrie-Aufenthalten. Um die massiven Spannungen, unter denen sie leidet, ertragen zu können, verletzt sie sich häufig. Die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung liegt nicht vor.

Frau A. wurde ausschließlich medikamentös behandelt. Eine Psychotherapie wurde ihr bisher weder angeboten noch mit ihr durchgeführt. Viele Versuche der Patientin, eine ambulante oder stationäre Psychotherapie zu erhalten, waren erfolglos.

Aus meiner Sicht ist sie therapiefähig und gut motiviert, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen.

Sie berichtet:

Hallo … heute ist irgendwie nicht so mein Tag.

Jetzt spricht sie von Pfleger M., der im Anschluss an einen stationären Psychiatrie-Aufenthalt eine undefinierte - halb private, halb professionelle - Beziehung zu ihr aufgebaut hat. Die Patientin verliebt sich während einiger poststationärer Treffen in ihn und fühlt sich deshalb schuldig. Nach einem kritischen Suizid-Versuch der Patientin meldet er sich nicht, wie versprochen, wieder. Die Patientin weiter:

Pfleger M. hat vorhin geschrieben, dass wir uns nicht weiter treffen können. Er hatte sich nach dem Suizidversuch gar nicht mehr so richtig gemeldet … und … dann … gab’s wohl irgendwie eine Dienstberatung, dass sie keinen Kontakt zu ehemaligen Patienten haben dürfen, also dass es noch mal explizit als dienstliche Anordnung gesagt wurde. Und ich konnte nicht so ganz aus der Nachricht rauslesen, ob das der Grund ist, dass wir uns nicht mehr treffen, oder eher die Sache mit dem Suizidversuch, aber das läuft ja auf dasselbe hinaus ... ja …

Aus meiner Sicht liegt hier ein zumindest fragwürdiges Verhalten vor.  Auch wenn M. sein Engagement durchaus gut gemeint haben mag, ist das Ergebnis für die Patientin desaströs. Als er sich überfordert sieht, beendet er die Beziehung, die der Patientin viel bedeutet hatte. Sowohl seine Dienststelle als auch er selbst hätten diese illegitime Begegnung professionell beenden, dh ihr Gelegenheit zu Abschied und Verarbeitung geben müssen. Sie hätten der Patientin Alternativen anbieten und sie an eine geeignete Stelle weiterverweisen müssen. Auf diese Art plötzlich alleingelassen, fühlt sie sich wertlos und gibt sich die Schuld an dem Desaster. Sie verliert abrupt einen der wenigen Lichtblicke in ihrem Alltag und damit ein aufkeimendes Gefühl von Sinn und Halt.

Nach einer Pause fährt sie fort:

 

Das Erstgespräch

Und dann hatte ich gerade ein richtig schreckliches Erstgespräch … Der Therapeut hat mir eine Stunde lang so Sachen an den Kopf geworfen, dass ich einfach mal mehr leisten müsste und mir’n Job suchen und viermal die Woche ins Fitness-Studio gehen, und andere Leute sind wirklich krank und da wär das dann ok, so zu leben, aber so jemand wie ich, der müsste doch mal arbeiten, und ich streng mich einfach nur nicht genug an. Und dann noch lauter andere so komische Sachen, dass ich ja aussehe wie ein Mann und dass ich mir ja mal ’nen Partner suchen müsste und dass ich immer so leise spreche, damit ich, falls mal jemand was missversteht, dass ich dann sagen kann: Ach nee, das war nur, weil ich so leise gesprochen hab. Und … ich weiß nicht … und er hat einfach nur so gemeine Sachen gesagt. Es war richtig unangenehm, ich hab mich nicht getraut zu gehen, obwohl mir eigentlich sofort klar war, dass es überhaupt nicht passt. Und je mehr er gesagt hat, desto schlimmer wurde es … na ja … ich fahre jetzt zu einer Freundin von mir und helfe ihr ein bisschen. Ich hoffe, dass mich das ein bisschen runterholt. […]

Ich hab schon nach Minijobs gesucht, und ich hab das sofort auch dem Therapeuten erzählt. Und der meinte dann: ‚Ja, davon können Sie doch auch nicht leben! Sie müssen endlich finanziell unabhängig werden. Sie sind überhaupt nicht erwachsen!‘ Und das hat mich dann wieder total verunsichert, weil ich eigentlich schon dachte, dass es vielleicht gut wäre, wenn es mir primär erst mal gefällt, egal ob ich jetzt damit Geld verdiene oder nicht. […]

Entschuldigung, mir geistert dieses Gespräch so durch den Kopf. Irgendwie hab ich das Gefühl, der hat die ganze Zeit die Sachen gesagt, die ich mir selbst auch die ganze Zeit vorwerfe, und voll den wunden Punkt getroffen. Na ja, Entschuldigung!“ 

Nach dieser Enttäuschung und diesem verantwortungslosen Erstgespräch gerät die Patientin in eine massive Krise. Die depressiven Symptome, Suizidalität, Selbstverletzungs-Druck, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle und weitere Symptome verstärken sich massiv. In der Wohneinrichtung erhält sie professionellen Beistand, so dass es (bis jetzt) nicht zu einer erneuten Exacerbation gekommen ist.

Dr. phil. Michael Mehrgardt

Hallo, meine Name ist Dr. phil. Michael Mehrgardt und ich war fast 40 Jahre lang als Psychologischer Psychotherapeut tätig. Dabei musste ich viele Missstände kennenlernen, die ich auf diesem Psychotherapie-Blog offen anspreche, das Thema: Grenzverletzung in der Psychotherapie. Auf meinem YouTube-Vlog  findest du Selbsthilfe-Tipps bei Depressionen, Ängsten, Paarkonflikten & Co.

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