Argumentationen – Die Kunst, fair zu argumentieren

Klimaschutz, Waffenlieferungen, Renteneintrittsalter. Migrationspolitik, Spitzensteuersatz, Kriminalitätsbekämpfung. Debatten gibt es viele in Deutschland. Nicht immer laufen sie fair. Ein kurzer Blick darauf, woran es liegen mag.

Argumente - die Kunst, fair zu argumentieren

Argumente als Form der Auseinandersetzung

Eine Gesellschaft, deren kollektive Handlungen auf Rationalität gründen sollen, braucht die Argumentation als Form der Auseinandersetzung und der Entscheidungsfindung. In Diskussionen über Fragen der Gestaltung des Sozialen sollen also nicht nur Meinungen ausgetauscht werden, sondern vor allem deren Begründung.

Das geschieht in Argumentationen. Dazu gibt es eine eigene geisteswissenschaftliche Forschungsrichtung, die Argumentationstheorie, in der Logik und Rhetorik, zwei altehrwürdige Teildisziplinen im akademischen Bildungskanon, zusammengebracht werden. Es geht dabei also nicht nur um das möglichst geschickte, sondern auch um das begründete Reden.

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Logik ist notwendig

Dabei hat die Folgerichtigkeit von Argumenten eine besondere Bedeutung, so dass philosophische Argumentationstheorien oft sehr logiklastig sind. Oft gehen sie von der Analyse diverser formaler Fehlschlüsse aus und entwickeln daraus Hinweise für richtiges Argumentieren.

  • Der US-amerikanische Philosoph Ed Damer baut in Attacking Faulty Reasoning (#Affiliate-Link) ein System mit insgesamt 60 solcher Fehlschlusstypen auf.

  • Die niederländischen Kommunkationswissenschaftler Frans van Eemeren und Robert Grootendorst stellen in ihren gemeinsamen Arbeiten (Speech acts in argumentative discussions; Argumentation, communication, and fallacies. #Affiliate-Link) eher die soziokulturellen Kontextbedingungen in den Mittelpunkt,

  • einen Ansatz, den auch mein Doktorvater, der Berliner Ethiker Thomas Gil aufgreift (Argumentationen. Der kontextbezogene Gebrauch von Argumenten, #Affiliate-Link), bei dem das Argument als Übung praktischer Rationalität im sozialen Kontext erscheint.

Argumente haben also etwas zu tun mit richtigem Reden, das in einem gesellschaftlichen Zusammenhang stattfindet, der wiederum auf die Frage zurückwirkt, was „richtig“ bedeutet.

 

Grundlage: Relevanz

In einer Argumentation wird eine – zumindest für die Teilnehmenden – relevante Sachfrage, die man unterschiedlich beantworten kann, durch sprachliche Auseinandersetzung einer rational begründeten, möglichst allgemeingültigen Lösung zuzuführen versucht.

Es hat also keinen Sinn, eine Argumentation darüber zu führen, ob Junggesellen unverheiratet sind, denn da gibt es keine zwei Meinungen. Eine Argumentation über Julian Nagelsmanns Taktik wird unter Personen, die sich nicht für Fußball interessieren, auch nicht zustande kommen.

Es muss also um etwas gehen, das uns betrifft, das kontrovers genug ist, um darüber zu streiten, und das sich überhaupt für sprachliche Auseinandersetzungen eignet. Die Frage etwa, wie Currywurst schmeckt, lässt sich anders klären.

Kommt eine Argumentation zustande, soll diese fair sein. Das zumindest ist eine weitgehend geteilte Forderung der Kommunikationsethik. Was heißt das? Das heißt, dass die Argumente, die vorgetragen werden, valide, stringent, relevant und sachlich sind. Diese vier Kriterien sind für ein Argumentum ad veritatem, also einen Austausch von Argumenten, der zur Wahrheit führen will, unerlässlich. Schauen wir sie uns der Reihe nach an.

 

Validität

Das, was man sagt, soll gelten.

Und zwar entsprechend der Reichweite der Aussage. Für Existenzaussagen („Es gibt auch Klimaaktivisten, die unnötige Flugreisen unternehmen“) reicht ein Beleg, für Allaussagen („Alle Brasilianer tanzen gerne“) braucht es mehr Belege, in diesem Fall 211 Millionen.

Grundsatz ist: Wer in einer Argumentation etwas behauptet, steht in der Pflicht, es zu begründen. Das klingt trivial, wird aber oft vernachlässigt. Mit Formulierungen der Art „Wir wissen doch alle, dass“ oder „Klar ist, dass“ sollten wirklich nur Aussagen eingeleitet werden, deren Wahrheit sich unmittelbar ergibt oder deren Geltung als bekannt vorausgesetzt werden kann; das Argumentum ad populum (oder Common Sense-Argument) ist also mit Vorsicht zu genießen.


Argumentum ad populum

Denn das, was „klar“ ist, betrifft wesentlich weniger Sachverhalte, als man meint. Selbstevidentes und allgemein Geteiltes ist ein rares Gut, das zudem immer seltener wird.

Häufig erhebt man in Diskussionen apodiktisch Behauptungen ohne Beweisvortrag und ohne jede Begründung zur allgemeingültigen Wahrheit, obwohl sie umstritten oder bloß subjektiv sind. Damit sind sie als Argumente nicht völlig untauglich, sondern nur in ihrer Reichweite begrenzt.

Vgl. Zirkelschlüsse: naturalistisch, dogmatisch und gar nicht logisch!

Wenn etwa eine persönliche Erfahrung gegen einen soziographischen Befund gestellt wird, ist das interessant, es steht dann aber einfach nur noch 1 zu 1000 statt 0 zu 1000. Für den Ausgleich des Argumentationsgewichts braucht es mehr als Anekdotenevidenz.

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Stringenz

Das, was man sagt, soll zutreffen.

Nicht nur in dem Sinne, dass es stimmt, sondern, dass es den Punkt trifft, der diskutiert wird. Oft neigt man dazu, im Gespräch auf einen opportunen Nebenaspekt abzulenken, wenn einem der Kern der Gegenargumentation nicht passt.


Red Herring

Das ist ein Fehler, der so häufig vorkommt, dass er sogar einen eigenen Namen bekommen hat: „red herring“ („roter Hering“). Oft erscheint er in Verbindung mit der Überbewertung des Nebenaspekts, basierend auf der Fehleinschätzung unzureichender oder nicht-repräsentativer Daten („cherry-picking“).

Die globale Erwärmung (auf Basis der Erhöhung von Durchschnittstemperaturen) wird dann etwa mit regionalen Gegentrends (gemessen an gleichbleibenden Extremtemperaturen) „widerlegt“, die aber für die Frage, ob es einen weltweit messbaren Erwärmungstrend gibt, nichts wirklich Zutreffendes aussagen.

 

Relevanz

Das, was man sagt, soll einen Bezug haben zu dem, was besprochen wird.

In diesen Kontext fällt der Relevanzfehlschluss (relevance fallacy). Das, was man sagt, ist offenkundig richtig, hat aber nichts mit der Sache zu tun. Oft werden steilste Thesen mit evidenten, aber irrelevanten Begründungen versehen. „Die Rente muss steigen, weil Düsseldorf die Hauptstadt von Nordrhein-Westfalen ist.”

Hier wird es nun etwas heikel. Denn es muss ja wiederum begründet werden, warum eine bestimmte Behauptungs- oder Begründungsaussage hier nicht hingehört, weil das Gesagte nichts mit der Sache zu tun hat.

Das heißt, man muss ein diskursives Spielfeld abstecken, auf dem jede und jeder verbleiben muss, wenn sie oder er mitspielen will. Die Außenlinien werden aber von den Spielern selbst gezogen, denn auch die Schiedsrichter, die „Aus!“ rufen, sind letztlich Spieler. Auch Kardinäle, Bundesverfassungsrichter und Seriennobelpreisträger sind am Ende Menschen.


Relevanzfehlschluss

Es ist uns als solche nicht möglich, einen objektiven Blick auf die Dinge zu werfen, denn es ist uns nicht möglich, das einzunehmen, was Thomas Nagel God's view oder View from nowhere nennt – eine von unseren subjektiven und intersubjektiven Bedingtheiten unabhängige Position.

Hier setzen nun die Kontextbedingungen ein, die Thomas Gil beschreibt. Argumentationen finden in Zusammenhängen statt, deren Gestalt von den Argumentierenden akzeptiert wird. Ist das nicht der Fall, sind Ausschlüsse von Argumentationen berechtigt. Andererseits wird die Frage, wann genau das nicht der Fall ist, immer umstritten bleiben müssen, aus dem Grund, dass wir fehlbare Menschen sind.

Im Beispiel könnte ein Rentner aus Düsseldorf sein Argument weiter verfeinern und auf die hohen Mietpreise aufgrund des Hauptstadtstatus' hinweisen – ein Konnex, der dann allerdings wieder belegt werden müsste (wie sieht es in anderen Landeshauptstädten aus) und dann auch nur mit eingeschränkter Reichweite im Hinblick auf den Gegenstand („die Rente“) Geltung beanpruchen kann (Rentner gibt es nicht nur in Düsseldorf).

 

Sachlichkeit

Das, was man sagt, soll die Sache betreffen.

Und nicht die Person treffen. Die Diskreditierung der andersargumentierenden Person (Argumentum ad hominem) gehört zu den Regelverletzungen fairen Argumentierens, die wohl am häufigsten auftreten, gerade bei Diskussionen in den Sozialen Medien.

Es geht aber bei der Argumentation immer um die Position, nie um die Person (es sei denn, man streitet sich über das Wesen, den Charakter eines Menschen – dann sollte aber zuvor die gesellschaftliche Relevanz dieser Frage geklärt werden, und auch dabei kann es sachlich zugehen oder polemisch).

Diese Trennung von Person und Position sollte gerade Christen leichtfallen, denn auch Jesus unterschied zwischen Mensch und Tat, zwischen Sünder und Sünde. Wer also meint, jemand liege falsch, soll versuchen, den Fehler zu finden und ihn der Allgemeinheit begründet vorzuführen, nicht aber, die Person beschimpfen.


Brunnenvergiftung

Eine besonders perfide Spielart des Argumentum ad hominem ist die so genannte „Brunnenvergiftung“, mit der eine Person aufgrund bestimmter Merkmale gänzlich von der Argumentation ausgeschlossen werden soll. „Du als Mann darfst dich zum Thema Abtreibung gar nicht äußern!“ 5 Euro für solche oder ähnliche Scheinargumente – man bräuchte seinen Lebtag nicht mehr zu arbeiten.

Zur Sachlichkeit gehört auch die richtige Rekonstruktion der anderen Meinung. Wenn es nach einem Klimaschutzargument zum Thema Ernährung, in dem Fleischverzicht als wirkungsvolle Maßnahme vorgetragen wird, empört schallt: „Jetzt wollen die uns auch noch das Grillwürstchen verbieten!“, dann wird dem Argument (bzw. dem, der es vorträgt) eine Position unterstellt, die so gar nicht vertreten wurde.

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Das Strohmann-Argument

Aus der Darstellung dekriptiver Zusammenhänge, dem Argument, werden überzogene normative Forderungen abgeleitet, die das Argument delegitimieren sollen, obwohl die Forderungen gar nicht erhoben wurden.

Es handelt sich dabei dann um eine straw-man fallacy („Strohmann-Fehlschluss“). Es kommt recht oft vor, dass die Position der Gegenseite so verzerrt wird, dass sie – schon vor jeder Argumentation dazu – abgelehnt werden muss.

Als Katholik wird man bisweilen mit dem Vorwurf des Kannibalismus konfrontiert, da man ja den Leib Christi esse. Natürlich ist das eine (oft nicht mal ernst gemeinte) Provokation, die aber geeignet ist, ein Gefühl des Ekels gegenüber dem Christentum katholischer Prägung zu erzeugen. Es ist dann wenig zielführend, zu argumentieren, dass und warum Kannibalismus im Grunde gar nicht schlecht sei, sondern es ist angezeigt, den Vorwurf selbst zu entkräften. Das verlangt theologische Kenntnisse und religionspraktische Erfahrung, sollte aber gelingen.

Der Punkt ist nur der: Die Zeit und Energie, die man aufbringen muss, sich als Katholik in seinem Glauben zu rechtfertigen, fehlt für die Argumentation in der eigentlichen Sachfrage.

 

Scheinargumente ernst nehmen

Doch soweit es irgend geht, sollte man auch Scheinargumente ernst nehmen und nicht ins Lächerliche ziehen.

Das fällt oft sehr schwer, zugegeben.

Aber zur Ethik der Kommunikation gehört es, dem Kontrahenten a priori Ernsthaftigkeit zu unterstellen, das gleiche Interesse an einer Lösung der Frage. Schließlich will man ja auch ernst genommen werden.

Die Goldene Regel verbietet hier die Abwertung der anderen Position durch Spott. Auch Humor muss gekonnt eingesetzt werden, um nicht zu verletzen.

Dr. phil. Josef Bordat

Gastautor Dr. phil., Josef Bordat ist studierter Philosoph, Soziologe & Dipl.-Ing. Er arbeitet als Journalist & Autor und setzt sich dezidiert mit religiös-philosophischen Themen auseinander. Auf seinem Blog und in seinen Texten gibt er Einblicke in eigene Depressionserfahrungen und deutet sie aus christlicher Perspektive.

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