Depressiv & aggressiv: Was tun, wenn Depressive aggressiv werden?

Etwa die Hälfte der Menschen mit Depressionen erlebt eine gesteigerte Reizbarkeit. Das bedeutet: Sie sind wegen der Depression schneller genervt, öfter gereizt und reagieren intensiver. Schon kleine Dinge können sie aus der Ruhe bringen. In Gesprächen wirken sie oft vorwurfsvoll oder sogar aggressiv. Manchmal treffen sie dann auch übereilte Entscheidungen, wie zum Beispiel im Ärger, den Job zu kündigen oder sich vom Partner zu trennen.

Depressiv, aggressiv & genervt – Warum?

Depressiv, aggressiv & genervt – Warum?

Die erhöhte Reizbarkeit bei Depressionen hat mehrere Ursachen, die eng mit den Symptomen und der Krankheitsdynamik zusammenhängen. Eine Depression verändert nicht nur die Stimmung, sondern beeinflusst auch die Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen. Betroffene sind oft schneller überfordert und reagieren intensiver auf kleine Auslöser.

Das liegt unter anderem daran, dass die Krankheit kognitive Funktionen wie Konzentration und Gedächtnis beeinträchtigt und die Impulskontrolle schwächt. Zudem verstärken negative Gedankenmuster und ein niedriges Selbstwertgefühl die Anfälligkeit für Frustration und Ärger. In Diskussionen kann sich das dann in vorwurfsvoller oder aggressiver Haltung zeigen. Vgl. Depression bei Männern: Wut auf Partner

Auch impulsive Entscheidungen sind häufig Ausdruck dieser Überforderung. Und eine Folge der Erkrankung, keine Charakterschwäche. Geduld, Verständnis und eine offene Kommunikation helfen, damit umzugehen.

Ich betone: “helfen”. Es wird immer wieder Phasen geben, in denen Angehörige und Partner an die eigenen Grenzen stoßen und sich immer wieder entscheiden müssen: Bleibe oder gehe ich?

Das ist normal in einem solchen Ausnahmezustand. Vgl. Depression Angehörige + Leben mit Depressiven

 

Wie geht man mit depressiven, aggressiven Menschen um?

Der Schlüssel liegt oft darin, das typische Reiz-Reaktions-Schema zu durchbrechen. Wenn du merkst, dass dein Gegenüber schnell genervt oder aggressiv reagiert, hilft es, mit einer unerwarteten Handlung oder Reaktion zu überraschen.

Statt selbst mit Ärger oder Vorwürfen zu antworten, kannst du zum Beispiel eine kurze Pause vorschlagen. So nimmst du der Situation die Schärfe und gibst der anderen Person die Chance, aus dem Kreislauf von Ärger und Gegenärger auszubrechen.

Praktisch heißt das:

  1. Bleib cool

  2. signalisiere Verständnis

  3. reagiere nicht automatisch

Psychologie der Aggression: (#Affiliate-Link/Anzeige) Warum Ursachen und Auswege so vielfältig sind

 

Nichts tun

Wenn du einer wütenden Person gegenüberstehst, reagierst du oft instinktiv und unüberlegt. Um aber wirklich clever zu handeln, brauchst du einen klaren Kopf. Deshalb kann es helfen, kurz innezuhalten und tief durchzuatmen, um dann zum Beispiel zu sagen: „Gib mir einen Moment, um darüber nachzudenken.

Das hat einen coolen Nebeneffekt: Auch die wütende Person bekommt so die Chance, kurz durchzuatmen und die Situation neu zu bewerten.

 

Stimme der Wut des anderen zu

Einer der größten Fehler ist zu sagen: „Es gibt überhaupt keinen Grund, so wütend zu sein.“ Besser ist es, der Person das Recht auf ihre Gefühle zuzugestehen – aber ohne das Wort „wütend“ zu verwenden, denn das wollen Betroffene oft nicht hören.

Stattdessen kannst du zum Beispiel sagen: „Ich kann verstehen, dass du aufgebracht bist.“ Damit signalisierst du Mitgefühl. Und genau dieses mitfühlende Verhalten entzieht dem Zorn die Energie, die er braucht, um weiterzubrennen. Vgl. Unterdrückte Wut rauslassen

 

Belehre bzw. erkläre nicht

Auch wenn es schwerfällt, solltest du dem Impuls widerstehen, dich zu rechtfertigen. Warum? Weil wütende Menschen oft laut werden – und wer laut schreit, kann nicht gleichzeitig klar denken oder rationale Informationen aufnehmen. Meist ruft eine Erklärung dann nur 2 Reaktionen hervorruft:

  • Entweder wirkt sie dominant, als wolltest du sagen: „Ich habe recht, du liegst falsch“,

  • oder sie wirkt wie ein Ausweichmanöver, das bedeutet: „Es ist nicht meine Schuld, such dir jemand anderen zum Ärgern.“

Beide Reaktionen machen die wütende Person nur noch gereizter. Für sie klingt eine Erklärung dann in etwa so: „Wenn du nicht völlig dumm bist, musst du doch merken, dass du keinen Grund hast, wütend zu sein, weil du falsch liegst.“

Kurz gesagt: In solchen Momenten verschärfen Erklärungen die Situation eher, anstatt sie zu beruhigen.

 

Frage nach

Mach deutlich, dass du wirklich verstehen möchtest, was den oder die andere bewegt, und zeige echtes Interesse. Wütende Menschen wollen mit ihren Gefühlen ernst genommen, gehört und verstanden werden.

Wichtig dabei: Das Wörtchen genau“ in deiner Nachfrage ist ausschlaggebend, denn Menschen in Wut neigen oft zur Übertreibung und verwenden Begriffe wie „immer“, „nie“ oder „ständig“.

Nimm das nicht persönlich – das spiegelt ihre Emotionen wider, nicht dich.

 

Kontere mit einer freundlichen Geste

Biete deinem Gegenüber ein Glas Wasser, Tee, Kaffee oder etwas anderes an, das Freundlichkeit ausdrückt. So brichst du das typische Reiz-Reaktions-Schema.

Genauso wie Feuer brennbares Material braucht, um sich auszubreiten, braucht auch Wut einen „Brennstoff“, um weiterzulodern. Reagierst du mit Freundlichkeit auf die Wut, kann das richtig entwaffnend wirken und die Situation beruhigen.

 

Schlage eine Pause vor

Schlag eine kurze Pause vor, um den Kopf frei zu bekommen. Zum Beispiel könntest du sagen: „Ich brauche einen Moment, um das zu überdenken. Ich mache mir einen Tee – möchtest du auch einen? Lass uns in etwa 10 Minuten weiterreden.“

So gibst du euch beiden Zeit, wieder ruhig zu werden.

 

STOPP bei Grenzüberschreitung

Wenn dein Gegenüber ausfallend wird oder laut wird, bleib lieber cool und mach klar: „So möchte ich nicht angesprochen werden. Wie wäre es, wenn wir in einer halben Stunde noch einmal reden oder an einem anderen Tag? Was passt dir besser?

Aber biete die Wahl nur an, wenn du wirklich mit beiden Optionen klarkommst. Wenn du merkst, heute ist Schluss für dich, dann sag das: „Ich kann so nicht weiterreden, wenn du mich anschreist. Lass uns morgen oder übermorgen noch einmal darüber sprechen.“

So setzt du klare Grenzen ohne Drama.

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Was du auf keinen Fall tun solltest

Was du auf keinen Fall tun solltest

  1. Von oben herab auf die wütende Person schauen. Nur weil jemand wütend ist, heißt das nicht, dass du sie nicht ernst nehmen solltest oder ihre Worte unwichtig sind. Bleib immer auf Augenhöhe – auch wenn die Stimmung hochkocht.

  2. Zieh dich nicht emotional zurück. Wenn dein Gegenüber merkt, dass dich die Situation bewegt, ist das positiv. Dich aus der Auseinandersetzung emotional herauszuziehen, kann schnell arrogant wirken.

Vgl. Depressiver Partner zieht mich runter – Ursachen & Tipps

 

Fazit: Depressiv & aggressiv – Was tun?

Mit einem depressiven Partner umzugehen, ist eine enorme Herausforderung – das lässt sich nicht kleinreden. Es ist ganz normal, dass du dich immer wieder überfordert, hilflos oder verletzt fühlst.

Behalte im Hinterkopf: Wenn dein Partner Schuldzuweisungen macht oder sich zurückzieht, hat das i.d.R. nichts mit dir persönlich zu tun. Vielmehr spiegeln diese Reaktionen die innere Verzweiflung und die tiefsitzenden Selbstzweifel wider, mit denen dein Partner kämpft. Das heißt nicht, dass du alles einfach so hinnehmen musst, aber es hilft, diese Dynamik zu verstehen.

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Ich möchte an dieser Stelle betonen: Mit diesem Text will ich dir NICHT sagen “mach das einfach und dann ist alles super”. Die Tipps sind keine Wunderwaffe oder die ultimative Lösung.

Ich verstehe sie mehr als Bausteine – kleine Hilfen und Anregungen, die dir den Umgang mit der Situation erleichtern können.


Quellen

1) AOK Familiencoach: Kapitel Erhöhte Reizbarkeit & Streit (Lösungsfilm)
2) ÄrzteZeitung: Depressionen. Wut und Ärger sind ein schlechtes Zeichen
3) Springer Medizin: Aggressiv statt antriebslos – so erkennen Sie Depressionen bei Männern
4) Gewaltfreie Kommunikation: (#Link mit Anzeige) Eine Sprache des Lebens

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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