Globale Moralität
Hans Küng hat versucht, mit dem Weltethos die fundamentalen ethischen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen anzusprechen. Der Schweizer Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng (1928-2021) begann vor 35 Jahren, sein Projekt Weltethos zu entwickeln. Mittlerweile ist es in Form einer Stiftung organisiert.
Einschlägig sind insbesondere die folgenden Texte:
"Projekt Weltethos" (#Affiliate-Link/Anzeige) von 1990
"Wozu Weltethos? Religion und Ethik in Zeiten der Globalisierung" (#Affiliate-Link/Anzeige) von 2002
"Dokumentation zum Weltethos. Der Weg zur Weltethoserklärung" (#Affiliate-Link/Anzeige) auch von 2002
und – zusammen mit dem Friedensforscher Dieter Senghaas – "Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen" (#Affiliate-Link/Anzeige) von 2003
Küng gibt in diesen Texten Antwort auf zentrale Fragen des Projekts und Auskunft darüber, wie er sich die Manifestation des Weltethos’ in Zeiten der Globalisierung vorstellt und welche Bedeutung der Weltethos für die Verwirklichung der Menschenrechte hat.
Was ist das Projekt Weltethos?
Das Projekt Weltethos ist der Versuch, die fundamentalen ethischen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen zu beschreiben, wie sie sich etwa in der universalen Präsenz der Goldenen Regel zeigen, und so ein Regelwerk aufzustellen, welches von allen akzeptiert werden kann. Man kann das Weltethos daher als Grundkonsens der Moralvorstellungen religiöser und nicht-religiöser Menschen bezeichnen.
Küng spricht – rückblickend auf das 20. Jahrhundert – von den drei verpassten Chancen für eine neue Weltordnung:
1918 nach dem Ersten Weltkrieg, wo sie an der europäischen Realpolitik scheiterte,
1945 nach dem Zweiten Weltkrieg, als es wegen des Stalinismus zu keiner Einigung kam
und 1989 nach der deutschen Wiedervereinigung – mangels einer geeigneten Vision.
Das Weltethos, so Küng, sei eine solche Vision. Die Basis dazu wurde im "Parlament der Weltreligionen" gelegt, das 1993 in Chicago tagte. Zum ersten Mal in der Geschichte haben über 6500 Vertreter aus allen Weltreligionen ihren Konsens über gemeinsame ethische Werte, Standards und Haltungen erklärt.
Was genau beinhaltet das Weltethos?
Kurz: Menschlichkeit. Diese wird erreichbar durch die Umsetzung der Goldenen Regel in vier Zusammenhängen:
1. Gewaltlosigkeit / Ehrfurcht vor dem Leben,
2. Solidarität / gerechte Wirtschaftsordnung,
3. Toleranz / Wahrhaftigkeit und
4. Gleichberechtigung / Partnerschaft von Mann und Frau.
Die Grundforderung lautet: Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden.
Die Globalisierung braucht ein solches globales Ethos, nicht als zusätzliche Last, sondern als Grundlage und Hilfe für die Menschen. Küng betrachtet das Weltethos als Gegenkonzept zu Huntingtons "clash of civilisations", denn ein friedliches Zusammenleben aller Menschen guten Willens sei auf Grundlage des Weltethos möglich.
Für Küng gilt: "Kein Friede zwischen den Nationen ohne Friede zwischen den Religionen. Kein Friede zwischen den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne globale ethische Standards. Kein Überleben unseres Globus ohne ein globales Ethos, ein Weltethos – gemeinsam getragen von religiösen und nichtreligiösen Menschen".
Methodisch gehe es dabei nicht darum, Religionen und Kulturen durch eine neue ethische "Superinstanz" zu ersetzen, sondern ihre Gemeinsamkeiten zu betonen und zu unterstützen. Das Weltethos wird also nicht erzwungen – das ginge auch gar nicht –, sondern es wird vorausgesetzt und muss gelebt werden.
Das Weltethos zielt damit nicht auf "die Verhältnisse" oder "das System", sondern auf den einzelnen Menschen, der die Verhältnisse und das System schafft.
Weltethos ist also nicht mit einer marxistischen "Weltrevolution" zur Befreiung von Unterdrückung zu verwechseln, sondern es richtet sich an die Unterdrücker und erinnert sie an ihre unbedingte Verantwortlichkeit.
Befreiung ist dann die Folge.