Verantwortung

Verantwortung

Verantwortung hat vier Dimensionen:

  • 1. einen Träger (den Menschen als individuelles und kollektives Subjekt),

  • 2. einen Gegenstand (die Handlung),

  • 3. einen Adressaten (Gott, Menschheit)

  • und 4. Kriterien (die normativ sind, moralisch oder rechtlich, und eine Anbindung des subjektiven Vollzugs an die objektive Ordnung gewährleisten).

Die Frage lautet also: Wer (1) hat vor wem (3) weshalb (4) wofür (2) die Verantwortung?

Hier ein Audiobeitrag von Dr. Bordat zum Thema:

 

Hier ist an eine Abstufung von Verantwortung zu denken.

Werner nennt drei mögliche Stufen: Es werde „vielfach angenommen, dass Akteure

a) für intendierte Handlungsergebnisse stärker verantwortlich sind als für nicht-intendierte, aber vorausgesehene und, in Kauf genommene’ Handlungsfolgen;

b) für vorausgesehene Handlungsfolgen stärker als für nicht-vorausgesehene, die aber voraussehbar gewesen wären;

c) für Folgen eines aktiven Tuns stärker als für die Folgen von Unterlassungen“ 1.

Verantwortung steht zwischen Sorge und Pflicht, zwischen Erklärung und Entschuldigung, Retrospektion und (etwa für die Klimaethik entscheidend) Prospektion. Das Konzept hat Stärken (Zugänglichkeit und flexible Anwendbarkeit: auf einzelne Menschen, aber auch auf korporative Gemeinschaften, mit moralischer wie rechtlicher Relevanz) und Schwächen (strukturelle Unbestimmtheit, Entgrenzungseigenschaft, Überdehnungsgefahr), die im Einzelnen zu diskutieren sind.

Es geht dabei also immer um die Folgen von Handlungen. Verantwortung ist also ein Kernkonzept des Konsequentialismus, einer an den Folgen orientierten Ethik. Welche Chancen und welche Probleme sind damit verbunden?

 

Chancen & Probleme des Verantwortungsbegriffs

Verantwortung durchzieht unser Leben. In den unterschiedlichen Lebensbereichen bekommt der Begriff eine je eigene Konnotation. Ob von moralischer, rechtlicher oder politischer Verantwortung die Rede ist, macht einen Unterschied aus, ebenso die Frage, ob es sich um einen Fall individueller, kooperativer oder korporativer Verantwortung handelt. Diese Offenheit und breite Anwendbarkeit des Begriffs ist eine Chance, gerade auch für einen so allumfassenden Topos wie den Klimawandel.

Bei der Zuschreibung von Verantwortung muss jedoch die Gefahr der Überforderung in den Blick genommen werden, die sich insbesondere beim Thema Klimawandel einzustellen droht. Es gilt, den hohen Abstraktionsgrad des Adressaten („zukünftige Menschheit“) zu verringern und die Zusammenhänge zu konkretisieren, um verantwortungsvolles Handeln motivieren zu können.

Die Relativität (die Vermittlung über den konsequentialistischen Zwischenschritt: mein Handeln selbst ist nicht schlecht, sondern dessen Folgen), die Globalität (dass es kein unmittelbares Opfer meines Handelns gibt) und der Zeithorizont (die Zukünftigkeit der Handlungsfolgen) machen die Forderung der Klimaethik nach Verantwortungsübernahme höchst problematisch, weil sie konkret und unmittelbar in das Leben eingreift und den Menschen im Hier und Jetzt etwas zumutet, dessen Folgen im Dort und Dann liegen.

Ein Grundproblem der konsequentialistischen Ethik besteht ohnehin darin, dass man aus der Position des Handelnden heraus nicht wissen kann, ob eine Handlung tatsächlich verantwortbar ist, weil und soweit ihre Folgen gut sind und sie damit der utilitaristischen Maxime einer Nutzenmaximierung gerecht wird.

 

Betrachtungen mit Nida-Rümelin, Schockenhoff und Spaemann

Eine mögliche Lösung dazu bietet Nida-Rümelins Ansatz eines „gemäßigten ethischen Objektivismus“2. Mit dem Verweis auf objektivierbare Gründe (im Hier und Jetzt) als Gradmesser der Verantwortung löst sich Nida-Rümelin von einer starren Orientierung auf die Fol-gen von Handlungen (im Dort und Dann) und umgeht damit das Abschätzungsproblem des Konse-quentialismus’. Doch es bleibt die Frage, worauf diese Begründungen jeweils rekurrieren. Dabei aufgerufene Normen, Werte, Tugenden werden wiederum folgenorientiert sein, v.a. bei zukunfts-gerichteten Fragestellungen wie sie dem Klimawandel eignen. Das Konsequentialismusproblem bleibt also bestehen.

Der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff gibt zu bedenken: „Konsequentialistische Ethikansätze wie der Utilitarismus oder die teleologische Ethik schreiben dem Menschen die Verantwortung für sämtliche vorhersehbaren Folgen seiner Handlungen zu. Wenn dem Menschen die grenzenlose Optimierung seiner Handlungsfolgen aufgetragen ist, stellt dies in vielen Fällen eine rigoristische Überforderung der Handelnden dar“3. Nutzenmaximierung im Hinblick auf die Folgen als Richt-schnur für das Handeln, also the greatest happiness of the greatest number (Bentham), führe, so Schockenhoff, zur „Überdehnung des Verantwortungsbegriffs“ 4, woraus er die Schlussfolgerung zieht: „Eine Moraltheorie, die den Verantwortungsspielraum, innerhalb dessen ein Mensch sein Handeln bedenken soll, nicht differenzierter umschreiben kann als es durch die Zuschreibung sämtlicher Handlungsfolgen geschieht, wird im Ergebnis hypertroph; sie scheitert an der Endlichkeit des Menschen, der nicht für die Optimierung von Weltläufen, sondern für das verantwortlich ist, was er innerhalb seiner Grenzen vernünftigerweise tun oder unterlassen kann“5. Das Stichwort ist hier: „innerhalb seiner Grenzen“. Diese Grenzen drohen jedoch in einer auf dem Begriff der Verantwortung basierenden Klimaethik zeitlich und räumlich immer weiter hinausgeschoben zu werden, weit aus dem konkreten Lebensumfeld der handelnden Personen hinaus.

Robert Spaemann sieht in der an den Folgen orientierten Verantwortungsethik gar einen Akt der Selbstvergötterung des Menschen: „Eine atheistische Zivilisation neigt schon deshalb zum totalen Konsequentialismus in der Moral, weil dort, wo Gott nicht als Herr der Geschichte verstanden wird, Menschen versucht sind, die Totalverantwortung für das, was geschieht, zu übernehmen und so die Differenz zwischen Moral und Geschichtsphilosophie aufzuheben“ 6.

Dabei sei sich die konsequentialistische Ethik nicht der Beweislast bewusst, die sie übernimmt, und über das Ausmaß der Last, die sie dem Menschen aufbürdet, wenn sie die universalteleologische Orientierung ihres Konzepts, die in der theologischen Tradition immer als göttliche Prärogative gedacht ist, unmittelbar auf den handelnden Menschen überträgt.

Spaemann sieht weiterhin einen Hauptkritikpunkt an der Verantwortungsethik im Übergang von der verbindlichen Einzel- zur unverbindlichen Gesamtverantwortung im ethischen Kalkül: „Das konsequentialistische Ethikverständnis, das sich selbst als verantwortungsethisch versteht, zerstört den Begriff der sittlichen Verantwortung durch Überdehnung. Die konkrete Verantwortung handelnder Menschen wird zu einer bloß instrumentellen Funktion im Rah-men einer stets fiktiv bleibenden Gesamtverantwortung“ 7.

Es ist also wichtig, Grenzen zu markieren. Menschliche Verantwortung kann nach Spaemann immer nur eine „abgestufte“ sein, wobei es „nach oben und nach unten hin eine Grenze gibt, jenseits derer wir unsere Verantwortung nur noch negativ, durch Unterlassen wahrnehmen können, dies allerdings dann auch müssen, und zwar mit einer Eindeutigkeit und Striktheit, die bei der aktiven Ver-antwortlichkeit fast nie gegeben ist. Die Obergrenze liegt dort, wo das Ganze des Universums beziehungsweise der Welt und der Menschheit ins Spiel kommt, die untere Grenze dort, wo die Würde der einzelnen Person tangiert wird“ 8.

 

Christliche Verantwortung

Die vorgeschlagene Lesart der Verantwortung als einer Haltung zwischen Sorge und Pflicht offenbart – bei aller berechtigten Kritik am Konsequentialismus – eine grundsätzliche Konsumerabilität der Verantwortungsethik mit der christlichen Tugend- bzw. Gebotsethik.

Seit dem Versagen Kains in der Sorge um seinen Bruder Abel („Bin ich der Hüter meines Bruders?“, Gen 4,9) und der damit grob missachteten Pflicht des Menschen gegenüber Gott ist die Verantwortung auch ein Kernkonzept für eine Moralität, die in jüdisch-christlicher Tradition steht.

Das Wort vom „Hüter meines Bruders“ (oder meiner Schwester) begründet einen Verantwortungsbegriff, der in liebender Sorge seinen Kern hat, diese zur Pflicht erhebt und damit auf die Tugend der Liebe und das Dreifachgebot verweist: Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe.


Quellen:
1 Werner, Micha H., Verantwortung, in: Düwell, Marcus / Hübenthal, Christoph / Werner, Micha H. (Hg.): Handbuch Ethik, Stuttgart 2006, S. 541–548, hier: S. 546.
2 Nida-Rümelin, Julian, Verantwortung, Stuttgart 2011, S. 181.
3 Schockenhoff, Eberhard, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg i. Br. 2007, S. 459–460.
4 Schockenhoff, Grundlegung der Ethik, S. 460.
5 Ebd.
6 Spaemann, Robert, Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, Stuttgart 2001, S. 237.
7 Spaemann, Grenzen, S. 223.
8 Spaemann, Grenzen, S. 229.

Dr. phil. Josef Bordat

Gastautor Dr. phil., Josef Bordat ist studierter Philosoph, Soziologe & Dipl.-Ing. Er arbeitet als Journalist & Autor und setzt sich dezidiert mit religiös-philosophischen Themen auseinander. Auf seinem Blog und in seinen Texten gibt er Einblicke in eigene Depressionserfahrungen und deutet sie aus christlicher Perspektive.

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