Sprich, damit ich Dich sehe – Wirkung von Sprechen & Stimme

Sokrates drückt in diesem einen Satz pointiert aus, wie groß der Einfluss von Sprache ist. Sie ist Ausdrucksform unserer Selbst und eines der wichtigsten Kommunikationsmedien in unserer Gesellschaft. Und das nicht erst seit heute!

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Das wusste schon Sokrates

Wir wirken mehr über unsere Stimme & das Sprechen als über den Inhalt des Gesagten nach außen.

Rede, damit ich Dich sehe – Interpretation

Schon vor gut 2.400 Jahren wusste Sokrates, wie wichtig das Sprechen für den Einzelnen und die Gemeinschaft ist.

Das philosophische Zitat zeigt in aller Kürze, was es für Dich als Mensch heißt, zu kommunizieren. Jede Äußerung ist nicht nur Interaktion mit dem Gegenüber, es ist auch Ausdruck Deiner Person selbst.

Stimmlage, Körpersprache, Wortwahl – das alles gibt Aufschluss darüber, wie Du zu einem Thema oder einer Person eingestellt bist.

Das ist aber längst nicht alles.

Durch das „Wie“ und „Was“ Du sprichst (Sprechweise), wirkst Du auch. Ich meine das gar nicht spirituell, sondern ganz konkret: Du beeinflusst mit Deinem Sprechen, wie der Gesprächspartner Dich sieht, das Gesagte versteht und aufnimmt. Gerade stimmliche Merkmale fallen mehr ins Gewicht als der Inhalt der Rede.

 
 

Was ist Sprechen?

Sprache und Sprechen gehören zusammen, Sprechen umfasst jedoch weit mehr als den Gebrauch einer Sprache. Sprechen ist ein Konglomerat aus: Persönlichkeit, Stimmung, Körpergefühl, Atmung, Stimmlage, Sprechweise und Emotionen.

Klingt wieder sehr komplex – und das ist Sprechen auch.

Schon allein bei dem Wort „Sprache“ und „Sprechen“ scheiden sich die Geister. Es existieren mindestens ebenso viele Theorien zum Sprechen, zur Sprachfunktion und Sprachentstehung, wie es Sprachforscher gibt.

Zum Beispiel:

  • Phonologen, die sich für die Funktion von Lauten in diversen Sprachen interessieren.

  • Prosodologen, die untersuchen, wie Betonung und Melodie die emotionale Wirkung von Aussagen beeinflussen.

  • Semantiker, die sich eingehend mit der Bedeutung & Bedeutungsentstehung beschäftigen.

  • Neurowissenschaftler, die Sprechen & Sprache als menschliches Verhalten zum Zwecke der Verständigung interpretieren. Das bedeutet im Grunde: Sprache ist Handeln und gleichzeitig handlungsmotivierend.

  • Paralinguisten, die vor allem im Blick haben, wie nonverbale Elemente – Gestik, Lautstärke und Sprechtempo – Rückschlüsse auf die Verfassung des Sprechers erlauben.

 
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Mehr als 100 Muskeln sind aktiv, damit wir koordinierte Laute hervorbringen können. Hinzu kommen verschiedene Organe, die dazu benötigt und aufeinander abgestimmt werden müssen.

Die wichtigsten sind: Lunge, Stimmlippen, Mund-Nasen-Rachen-Raum, Gaumen, Gaumensegel, Lippen, Zunge, Zähne, Unterkiefer, Augen, Gehör und Gehirn.

Jedes Wort braucht dann eine andere Haltung und Koordination der beteiligten Organe und Muskeln, um einen unterschiedlichen Laut zu erzeugen.

 

Musik & Sprache

Zwischen Sprechen & Musik gibt es viele interessante Parallelen: der Rhythmus spielt eine Rolle und das Transportieren von Emotionen, wobei letzteres bei Musik noch wichtiger ist.

Ob Musik machen (Singen, Musizieren) oder Musik hören – neben den emotionalen und motorischen Gehirn-Regionen werden auch die des Sprachzentrums aktiv. Das sogenannte Broca-Zentrum schlägt an, sobald wir einen grammatikalischen Fehler bemerken. Das Zentrum reagiert aber auch auf missklingende Noten und Rhythmus-Störungen

 

Die Stimme als Selbstdarstellung & Kommunikationsmedium

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Sozialpsychologische Studien wiesen nach, dass die Wirkung von Menschen auf ihre Umgebung zu

  • 55 % vom Aussehen & Verhalten,

  • zu 38 % von der Stimme

  • und nur zu 7 % vom Inhalt der gewählten Worte abhängt

  • Mehr als 90 % der Kommunikation geschehen über Körpersprache & Stimme (5)

Interessant! Da wollen wir uns die Stimme und ihre Wirkung doch mal genauer ansehen.

 

Die 6 Wirkungsebenen der Stimme

Kommunikationsexperten unterscheiden bei der Wirkung einer Stimme 6 verschiedene Ebenen, die im Wesentlichen bestimmen, wie Dein Sprechen auf andere wirkt.

1) Körperspannung (Tonus)

Dein Körper kann verschiedene Spannungszustände annehmen. Und dieser schlägt sich auch auf Deine Stimme nieder. Es macht wirklich einen großen Unterschied, ob Du steif wie ein Soldat stehst oder Dich lässig-entspannt auf die Couch fläzt.

Als Faustregeln gelten:

  • Körperspannung ausbalanciert = volle, tragfähige und überzeugende Stimme

  • Körperspannung überspannt = gedrückte, unsympathische Stimme

  • Körper zu schlaff = schwache, leise, kraftlose Stimme

Wie sehr die Körperspannung im Übrigen mit der Stimmung zusammenhängt, beweisen auch Untersuchungen. Bei einem depressiven Menschen ist die Stimme meist schwach, merklich kraftlos und das Sprechen wirkt langsamer.

Hintergrund: Die Körperspannung fehlt und darum haben auch die Stimmlippen weniger Spannkraft. Dadurch klingt die Stimme tiefer und gehaucht, das Sprechen undeutlicher.

Anderes lässt sich bei einer fröhlichen Person beobachten: Die gute Laune versetzt den Körper in eine leichte Spannung, was die Atmung tiefer macht und Druck auf die Stimmlippen ausübt. In der Folge hört sich die Stimme etwas höher an und lauter, der Ton ist klar und sicher.

2) Körperhaltung

Deine Haltung ist wieder etwas anderes als Deine Körperspannung. Kannst Du mit einem Wasserschlauch vergleichen: ist er gespannt, aber geknickt, kann nicht viel Wasser herausfließen. Dabei ist mit Körperhaltung keine Starre gemeint, sondern eine flexible und stabile Haltung – eine Art Gleichgewicht, das sich selbst immer wieder einspielt. Wie bei einem Grashalm, der sich mit dem Wind biegt, aber fest an Ort und Stelle bleibt.

3) Atmung

Sprechen und Stimmklang werden stark durch Deine Atmung beeinflusst. Darum haben Schwimmer oft eine gut trainierte Stimme. Die Stimme ist im Grunde ein hörbares Ausatmen, das wir durch die Stimmlippen und den Mund-Nasen-Rachen-Raum modifizieren.

4) Klang

Die Stimme klingt, indem die ausströmende Atemluft durch die Stimmlippen einen Schall erzeugt. Das Gehirn registriert dieses Schallsignal als Tonhöhe. Unnatürliches Sprechen mit zu hoher oder zu tiefer Stimme geschieht durch ein Überspannen der Stimmbänder. Übrigens auf Dauer auch höchst ungesund.

Auch für den Zuhörer klingen überspannte Stimmlippen alles andere als gut. In der Regel wird die Stimme dann als unsympathisch wahrgenommen.

5) Artikulation (Aussprache)

Die Verbindung der einzelnen Laute zu einem zusammenhängenden Wort, also die Aussprache von Worten ist damit gemeint. Hier spielen Dialekt und Betonung (Intonation) eine Rolle und werden mit dem Gesagten in Bezug gesetzt.

6) Intention

Wie das Gesprochene beim Empfänger bzw. Zuhörer ankommt, hängt auch von der Intention des Sprechers ab, die sich in der Stimme widerspiegelt.

Ich kann einen Satz wie „Hey, na super, dass ich dich ausgerechnet jetzt treffe.“ auf unterschiedliche Weise aussprechen und damit in seiner Bedeutung lenken. Freue ich mich oder bin ich genervt, dem anderen zu begegnen?

In der Regel kommen hier mehrere Signale zusammen, damit der Gesprächspartner die Worte in den richtigen Kontext setzen kann. Dazu werden in Blitzgeschwindigkeit und unterbewusst Gestik, Mimik und Stimmklang (Tonfall) interpretiert. Stimmen sie mit dem Sinn der Worte überein, ist die Intention klar.

 
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Zum Hintergrund des Zitats
„Sprich, damit ich Dich sehe!“

Zugeschrieben wird Sokrates das Zitat lange Zeit nach seinem Tod, um 200 nach Christus von Apuleius, einem bekannten lateinischen Autor, Redner und Philosophen. Der Lebensspruch ist uns nicht im Original überliefert, sondern in seiner lateinischen Übersetzung: Loquere, ut te videam oder Loquere, ut videam te

Diese Sokrates-Anekdote ist eine Anspielung auf Platons frühen Dialog "Charmides". Auszug aus Apuleius „Florida“:

"Doch nicht so mein Meister Sokrates; als er einen schönen Jüngling sah, der ziemlich lange schwieg, sagte er: 'Damit ich dich sehen kann, rede auch etwas!'

„Sprich, damit ich dich sehe“ ist eine Kurzformel für den Vorschlag von Sokrates, der jugendliche Charmides solle an einem Gespräch teilnehmen, um mehr dessen seelische Schönheit betrachten zu können als die Schönheit seiner körperlichen Gestalt.

Mit Sehen meint Sokrates also nicht den Sehsinn, sondern das geistige Auge (Platon, Politeia 533 d), die Psyche & Vernunft.

 

Fazit: Rede, damit ich Dich sehe

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Studien zeigen, dass gut 1/3 unserer Wirkung auf Mitmenschen von unserer Stimme abhängt. Mit unserer Stimme geben wir Wörtern eine inhaltliche Bedeutung, füllen sie aber gleichzeitig mit Gefühlen.

Was bedeutet das für die Kommunikation zwischen Menschen?

Dass wir mehr auf die Beziehungsebene achten müssen, nicht nur auf den Inhalt, wenn wir verstehen und verstanden werden wollen. Das macht Gespräche klarer und konstruktiver.

Vgl. auch: Über Depressionen sprechen – Sprache & Wahrnehmung


Quellen:

1) Platon, Charmides 158 e – 159 a
2) Dtv Atlas der Philosophie
3) Ragnar Vogt: Was ist das, was ich Spreche?
4) Sprachheilpaedagogik.de: Was ist Sprechen?
5) Manfred Piwinger: Über die Funktion der Stimme in der Kommunikation
6) Cordula Weinzierl: Singstimme

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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