Zum 100. Geburtstag von Z. Bauman
Am 19. November 2025 jährt sich die Geburt Zygmunt Baumans zum 100. Mal. Der Soziologe und Philosoph gehört zu den schillerndsten Figuren der Gegenwartskultur. Dem Jahrhundertdenker ein Ständchen.
Baumans Leben (1925–2017)
Zygmunt Bauman wurde am 19. November 1925 in der westpolnischen Stadt Posen geboren, in der er bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs lebte. Nach dem deutschen Überfall auf Polen floh seine jüdische Familie in die Sowjetunion, wo Zygmunt Bauman ein Internat besuchte.
Er wurde Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. 1942 begann Zygmunt Bauman in Gorki ein Studium, das er jedoch 1944 wegen seiner Einberufung in den Kriegsdienst abbrechen musste. Als Politoffizier in den Polnischen Streitkräften in der Sowjetunion nahm er im April 1945 an der Schlacht um Berlin teil.
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Von 1945 bis 1953 war Bauman politischer Offizier
(zuletzt im Rang eines Majors, der damals jüngste in der Polnischen Armee). Gleichzeitig war er in den Jahren 1945 bis 1948 unter dem Decknamen „Semjon“ Agent des Militärischen Informationsdienstes. Wegen der Westkontakte und der zionistischen Haltung seines Vaters wurde Zygmunt Bauman 1953 aus dem Militärdienst entlassen, obwohl er selbst kein Anhänger des Zionismus und auch kein praktizierender Jude war.
1948 heiratete er die polnische Journalistin Janina Lewinson, eine Überlebende des Warschauer Ghettos, mit der er bis zu ihrem Tod (2009) verheiratet war. In zweiter Ehe war er bis zu seinem Tod mit der Soziologin Aleksandra Jasińska-Kania verheiratet.
Akademische Ausbildung
Zygmunt Bauman setzte nach dem Zweiten Weltkrieg seine unterbrochene akademische Ausbildung fort, studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Warschau, wurde dort 1956 promoviert und habilitierte sich 1960.
Seit 1954 war er an der Universität Warschau als Dozent für Soziologie tätig. 1962 trat Zygmunt Bauman dort als Soziologieprofessor in die Nachfolge seines akademischen Lehrers Julian Hochfeld. 1968 verlor er aufgrund einer im Zuge der März-Unruhen einsetzenden antisemitischen Hetzkampagne seinen Lehrstuhl. Zygmunt Bauman emigrierte nach Israel und lehrte an der Universität Tel Aviv.
1970 zog Zygmunt Bauman nach Großbritannien und studierte dort an der London School of Economics beim kanadischen Politologen und Sozialwissenschaftler Robert Trelford McKenzie. 1971 erhielt Zygmunt Bauman einen Ruf auf den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Leeds, den er bis 1990 innehatte.
Nach seiner Emeritierung blieb Zygmunt Bauman in seiner englischen Wahlheimat und ging bis ins hohe Alter einer regen Publikationstätigkeit nach.
Er starb am 9. Januar 2017 in Leeds.
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Sein Werk
Zygmunt Baumans Arbeit als Soziologe und Philosoph ist von seinen Kriegserlebnissen sowie seinem bewegten Leben in totalitären (Nationalsozialismus, Stalinismus) und freiheitlich-demokratischen Systemen mit vielfältigen Ausgrenzungs- und Anpassungserfahrungen geprägt.
Seine akademischen Themen sind zugleich Lebensthemen. In seinem umfangreichen Werk beschäftigt sich Zygmunt Bauman (#Ad/Affiliate-Link) mit gesellschaftlichen Fragen der Moderne, insbesondere ihrer ökonomischen und ethischen Ambiguität (Globalisierung, Konsumismus, Wertewandel); beachtlich ist hier v.a. seine Arbeit zum Holocaust, den er als einen Ausdruck der aufgeklärten Moderne ansieht, nicht als Rückfall in eine unzivilisierte Vormoderne („Barbarei“).
Baumans fast schon triviale Kernthese lautet:
„Der Holocaust wurde inmitten der modernen, rationalen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt, in einer hochentwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen: er muß daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden.“
Mehr erfahren » „Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust“ (externer Link zu JoBos Blog)
Er entwickelte eine soziale Kritik der ökonomischen Zuspitzungen (Privatisierung, Unsicherheit, Jobnomadentum) in der so genannten Spätmoderne; Zygmunt Bauman nennt sie „liquid modernity“, weil in ihr das „Zerfließen“ von physischen Grenzen – deutlich vor allem in den virtuellen Realitäten – sowie tradierten Werten und Normen zum bestimmenden Paradigma wird.
Mit diesem Begriff – in einen Gegensatz zum Konzept der Nach- oder Postmoderne gestellt – wird die Kontinuität moderner Lebensformen in der Gegenwartskultur betont und diese vor allem aus Sicht des mit neuen Verantwortlichkeiten und Anforderungen be- und überlasteten Individuums kritisiert, das in dieser ambivalenten Entwicklung wesentlich als bindungsloser Konsument erscheint, weil dessen gesellschaftliche Teilhabe auf Konsum reduziert ist. Mit diesen Thesen nimmt er ab den 1990er Jahren großen Einfluss auf die globalisierungskritische Bewegung.
Bauman sieht in den Unsicherheiten der „liquid modernity“ mit ihren schwer durchschaubaren, weitgehend entkörperlichten und nur schwach normierten transnationalen Herrschaftsformen und Machtverhältnissen die Wurzel vieler sozialer Probleme einer in Transformationsprozessen befindlichen Gegenwart (Entsolidarisierung, Fremdenfeindlichkeit, Demokratieskepsis, Isolationismus, Fundamentalismus).
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Das Fortschrittsversprechen, das in der „liquid modernity“ v.a. technologisch und ökonomisch begründet ist, wird bei Bauman zur einzig verbliebenen Bindungskraft; kann es nicht eingelöst werden, droht gesellschaftliche Instabilität. Die (Rück-)Besinnung auf nationale, ethnische und religiöse Identität führe dabei neben der Schaffung von „neuen Gemeinschaften“ mit einem sinnstiftenden Zugehörigkeitsgefühl und der Möglichkeit zur individuellen Selbstverwirklichung im kollektiven Raum zu verstärkten Abwehrreaktionen gegen „die Anderen“, was mit einem Zuwachs an Aggressivität, Hass und Gewalt einhergehe.
Erschreckend, mit welcher Präzision seine Analyse die Krise westlicher Gesellschaften beschreibt und wie sein kritischer Blick auf die Moderne auch zur Lage der deutschen Gegenwartsgesellschaft passt.
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