Natur und Übernatur 3

Geist und Gnade – Rationalismus

Es stellt sich die Frage, was dieser empiristische Zugang à la Locke und Bacon wert ist. Eröffnet uns die Erfassung der Natur auch die „Wahrheit“ hinter den durch Forschung erkennbaren Phänomenen?

Einige Jahrzehnte nach Bacons Novum Organum tritt ein deutscher Philosoph auf, der die Frage verneint – Gottfried Wilhelm Leibniz. Leibniz geht wieder auf die aristotelische Deduktion zurück, gewissermaßen mit einem platonischen Hintergedanken, denn auch die Metaphysik Leibnizens sieht eine Trennung vor von materialer Welt (er nennt diese das „Reich der Natur“) und geistiger Welt (bei ihm das „Reich der Zwecke“). Bei ihm ist das Verhältnis von Verstand und Anschauung nicht als vom Menschen generierte Verbindung geregelt. Und damit ist klar, dass die Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft, die Bacon postuliert hatte, von Leibniz zurückgewiesen wird.

Für Leibniz können mit und in der Natur angestellte Experimente nichts über die Wahrheit sagen, sondern nur über einen Ausschnitt von Kausalitäten in der dem empirischen Forschen zugänglichen Sphäre, dem materialen „Reich der Natur“. Das dem überlagerte geistige „Reich der Zwecke“, manchmal auch „Reich der Gnade“ genannt, weil Leibniz Gott in diesem Reich wirken lässt, kann so nicht beschrieben werden, weil es nicht im Experiment modelliert werden kann. So unterscheidet Leibniz in seiner Erkenntnistheorie die Kontingenz eines material-phänomenologischen Kausalnetzes im „Reich der Natur“, das experimentell zugänglich ist, von der Notwendigkeit der Finalursachen, denen zugleich teleologische Richtungsorientierung eignet, im „Reich der Zwecke“ bzw. der „Gnade“, das experimentell nicht zugänglich ist.

Das heißt: Was wir messen und erfahren sind die Kausalursachen, was wir experimentell nicht ergründen können sind die Ursachen zweiter Ordnung. Wir können erfahren, wie die Welt ist, aber wir können nicht in Erfahrung bringen, warum sie so ist, wie sie ist und warum eine bestimmte Kausalität auftritt. Das bedeutet für die Naturwissenschaften, dass sie durch Erfahrung und Induktion nicht begründbar sind. Vielmehr setzen sie nach Leibniz logische Prinzipien voraus, ohne die eine geordnete empirische Erkenntnis aus Experimenten gar nicht möglich ist.


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Dr. phil. Josef Bordat

Gastautor Dr. phil., Josef Bordat ist studierter Philosoph, Soziologe & Dipl.-Ing. Er arbeitet als Journalist & Autor und setzt sich dezidiert mit religiös-philosophischen Themen auseinander. Auf seinem Blog und in seinen Texten gibt er Einblicke in eigene Depressionserfahrungen und deutet sie aus christlicher Perspektive.

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