Agitierte Depression – 25 % aller Depressiven sind rastlos, hyperaktiv & getrieben

Die agitierte Depression zählt zu den atypischen Krankheitsformen. Hier ist es gezwungene Hyperaktivität, die auf ein psychisches Leiden hinweist. Neben Aktionismus und Bewegungsdrang kämpfen agitiert Depressive auch mit starker Angst & Schlaflosigkeit. Doch vor allem ist es ein Gefühl des Getriebenseins, mit dem die erschlagende Traurigkeit & Sinnlosigkeit überspielt wird.

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Agitiertheit bei Depressionen ist gefährlich

Die Rastlosigkeit & Ängstlichkeit nimmt dabei so quälende Ausmaße an, dass ernsthafte Gefahr besteht, sich selbst zu verletzen oder Suizid zu begehen.

 

Inhaltsverzeichnis: agitierte Depressionen

  • Was ist eine agitierte Depression?

  • Definition Agitiertheit

  • Agitierte Depressionen im ICD 10

  • Die depressive Agitiertheit

  • Symptome & Anzeichen

  • Agitiert & depressiv: ein Erfahrungsbericht

  • Fanatische Hyperaktivität & extremer Perfektionismus

  • Agitierte Depressionen sind schwer zu erkennen

  • Fazit


 

Agitiert & depressiv

Aktionismus statt Antriebslosigkeit

Depressiv, aber getrieben von Tatendrang, innerer Unruhe und einem Bedürfnis nach Bewegung. Klingt im ersten Moment vielleicht seltsam, ist aber eine spezielle Form der atypischen Depression. Auf andere wirkst Du aktiv und energiegeladen.

Du selbst spürst aber einen quälenden Druck in Deinem Inneren, der so stark ist, dass er Dein Denken und Tun beherrscht. Du kannst nicht anders, als Dich ständig zu beschäftigen, Dich zu bewegen, weil Deine innere Spannung Dich brutal dazu zwingt.

Was ist eine agitierte Depression?

Das Schlimmste bei agitierten Depressionen ist die erhöhte Suizidgefahr: Weil extremer Tatendrang vorherrscht und noch Energie mobilisiert werden kann, befallen Betroffene häufiger spontane Selbstmordgedanken, die sie von einem Augenblick auf den anderen in die Tat umsetzen können.

Die Ursachen für agitierte Depressionen sind genauso vielfältig, wie die depressiven Symptome selbst. Es gibt keinen Unterschied zu den typischen depressiven Störungen: traumatische Erfahrungen, chronischer Stress, hormonelle Störungen, Angststörungen und so weiter und so fort.

Eines haben jedoch alle Subtypen von Depressionen gemeinsam: Die extreme Niedergeschlagenheit, verbunden mit existenziellen Selbstzweifeln und Schuldgefühlen, die Dich beinahe lebensunfähig machen.

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Was ist eine agitierte Depression?

Wie oben schon erwähnt, agitierte Depressionen sind eine Spezialform der atypischen Depression. Während bei typischen Verlaufsformen eine schreckliche Interesselosigkeit und starke Antriebslosigkeit besteht, beherrscht agitiert depressive Menschen eine unheimliche Getriebenheit und Ruhelosigkeit. Unheimlich ist hier das richtige Wort, denn Du begreifst als Betroffener selbst nicht, was in Dir vorgeht und warum.

Alles, was Du weiß und fühlst, ist eine stromgeladene Unruhe in Dir, die Dich zum Denken und Handeln zwingt. Du hast hier eben nicht das Bedürfnis, Dich zurückzuziehen und auf der Couch zu vegetieren, sondern Dich zu bewegen, irgendwie aktiv zu sein, einfach irgendetwas zu tun, um die extreme Anspannung in Dir auszuagieren. Übrigens tritt diese Form häufiger bei älteren Menschen auf als bei jüngeren, so die Forschung (12).

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Definition Agitiertheit

In der Wissenschaft, insbesondere in der Psychiatrie und Psychologie, wird der Begriff "Agitation" verwendet, um einen Zustand der extremen emotionalen Erregung, Unruhe oder Aktivität zu beschreiben. Agitierte Personen fühlen sich physisch und emotional extrem aufgeladen, unruhig, haben einen unstillbaren Bewegungsdrang und können gereizt oder verärgert reagieren.

Agitiertheit ein Symptom von Stress oder psychischen Erkrankungen (Depression, bipolare Störungen, Angststörungen, Schizophrenie usw.)

 

Agitierte Depressionen ICD 10

Laut Medizinern leiden ca. 25 % der depressiven Menschen mindestens phasenweise unter diesem Symptomkomplex. In englischsprachigen Ländern heißt dieser Depressionstyp melancholia agitata bzw. gemischte Depression.

Oft kommt Agitiertheit bei bipolaren Depressionen vor (in der manischen Phase), zeigt sich aber auch bei unipolaren Depressionen. Im ICD findet sich keine spezielle Klassifikation dafür, stattdessen:

  1. wird die agitierte Depression in die depressiven Episoden nach F32.0, F32.2 und F32.9 eingeordnet.

  2. Liegt Agitiertheit vor, aber keine Depression zugrunde, dann lautet die Klassifikation R45.1 für Ruhelosigkeit und Erregung oder R46.3 für Hyperaktivität. (11)

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Depressive Agitiertheit definieren

Sie hat nichts mit einer gewöhnlichen Nervosität zu tun, sondern geht weit darüber hinaus und quält Dich als Betroffener so sehr, dass Du alles an Energie verlierst.

Agitation ist auch ein Begleitsymptom von anderen psychischen Krankheiten, wie ADHS, Angststörungen, Panikstörungen oder Demenz. Die Depression ist aber die häufigste Grundlage für Agitiertheit. In der Fachsprache steht der Begriff für einen psychomotorischen Erregungszustand:

Motorische Unruhe und Ruhelosigkeit mit einem unstillbaren Bewegungsbedürfnis beim Vorliegen einer gesteigerten inneren Erregbarkeit“ (Prof. Hartmann Hinterhuber, Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck) „Die Patienten empfinden sich subjektiv als nervös, unruhig und innerlich vibrierend (…) das Ausmaß der unkontrollierten Bewegungsmuster oder Bewegungsabläufe ist je nach Erkrankung unterschiedlich.“ (7)

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Symptome der agitierten Depression

Die Anzeichen von agitierten Depressionen zeichnen sich durch das Gegenteil von dem aus, was Du ansonsten unter Depressionen verstehst: das Meiden anderer Menschen, sich sozial zu isolieren oder nichts mehr zu tun. Das ist natürlich nicht alles.

Da es sich ja um eine Depression handelt, sind auch typische Symptome wie Schlafstörungen, Konzentrationsverlust, enormer Verlust an Selbstvertrauen, starke depressive Angstgefühle und Interesselosigkeit an der Tagesordnung. Sie werden allerdings mit Überaktivität komplett überspielt, sodass andere nicht merken, wie sinnlos, traurig und leer Du Dich fühlst.

 

Anzeichen für agitierte Depressionen:

  • starker Bewegungsdrang, nicht Still-sitzen-Können

  • Aktionismus und Hyperaktivität

  • zielloses Handeln und Denken

  • totale Ruhelosigkeit

  • ständiges getrieben sein, zappeln

  • permanente Bewegung der Hände

  • schnelle Reizbarkeit, impulsive Gefühlsausbrüche

  • nervöses Nägelkauen oder Haareraufen

  • gesteigerter Redefluss, hohes Mitteilungsbedürfnis (Reden wie ein Wasserfall)

  • körperliches Zittern

  • äußerlicher, rigoroser Perfektionismus (Körperkult, Beruf usw.)

  • sehr spontanes & unüberlegtes Handeln

 

Eine Jammerdepression?!

Einerseits scheinen agitierte Menschen wenig über ihre Beschwerden zu reden. Andererseits schreiben viele Ärzte darüber, dass die Betroffenen verzweifelt wirken, viel jammern, weinen oder bestimmte Fragen/Sätze oft wiederholen. (Auf Wikipedia ist vermerkt, dass sie daher auch als Jammerdepression beschrieben werde.)

Je schwerer diese Depressionsform ausfällt, desto zielloser und fahriger wirkt Dein Denken und Tun. Eins haben die verschiedenen Depressionsarten aber immer gemeinsam: Du fühlst Dich als Betroffener nicht krank (genug), all Deinen Leiden zum Trotz!

Du funktionierst ja irgendwie. Zumindest so lange, bis Du Dich gänzlich aufgerieben und aufgebraucht hast. Oft vergehen etliche Jahre, bis sich Betroffene endlich Hilfe suchen, weil sie seelisch und körperlich zusammenbrechen (vgl. Erschöpfungsdepressionen).

 

Agitiert depressiv: Erfahrungsbericht

Es ist schwierig zu erklären, wenn Du Dich rastlos fühlst und gleichzeitig vollkommen entkräftet bist. Vielleicht klingt ein ständiger Bewegungszwang für Dich nicht gravierend. Aber wenn Du selbst davon betroffen bist, dann erzeugt dieser Zwang in Dir einen ungeheuren Leidensdruck, der Dich vollkommen beherrscht und letztlich innerlich ausbrennt.

Du musst Dir das mal vorstellen: Du kannst Dich nie hinsetzen und ausruhen, Du kannst kein Buch lesen, nicht richtig nachdenken, Dich nicht entspannen – nichts davon. Du musst Dich bewegen/beschäftigen – Du hast gar keine andere Wahl, weil Dich etwas dazu zwingt. Und dieses Etwas bist nicht Du, sondern etwas Fremdes, Furchterregendes und Gewaltsames, das von Dir Besitz ergreift. Du bist wie fremdgesteuert und fühlst Dich hilflos gegenüber dieser Übermacht, die Deinen Geist und Körper zur Rastlosigkeit nötigt und Der Du nichts entgegensetzen kannst.

Zuerst ist es Dein Kopf, der keine Sekunde Ruhe findet und Dich mit Gedankenkreisen und Schamgefühlen zermartert. Gesprächen kannst Du nur schwer folgen, Deine Gedanken überschlagen sich förmlich, rasen dahin und finden keinen Halt.

Dann kommt die körperliche Seite hinzu: Du zitterst Tag und Nacht, Dein ganzer Körper steht permanent unter Anspannung, als würdest Du gleich einen Boxkampf bestreiten müssen. Der größte Treiber für diesen ungeheuren Bewegungsdrang ist Deine Angst. Völlig neben Dir läufst Du hin und her (ob jetzt metaphorisch oder buchstäblich), kannst nicht stillsitzen, musst unablässig Hände und Füße bewegen.

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Händeringen und Händezittern waren bei mir ein Zeichen dafür, dass mich die Anspannung im Würgegriff hat. Mein Partner nahm wahr, dass ich meinen Körper komplett versteifte und nicht richtig bei der Sache war. Oder dass ich mich auf meine Hände setzte, um diese nicht ständig bewegen zu müssen.

Mich beherrschten meist Sorgen vor dem nächsten Tag, Gedanken über meinen unverständlichen Zustand und Selbstvorwürfe. Noch viel schlimmer war die gefühlte Sinnlosigkeit meines Wesens. Diese Wertlosigkeit Deiner Existenz plagt Dich so sehr, dass Du in nichts mehr einen Grund siehst, Dein Leben zu gestalten – ja überhaupt zu leben.

 

Fanatische Hyperaktivität & extremer Perfektionismus

Sissi-Syndrom als Form der agitierten Depression

Hast Du schon mal vom Sissi-Syndrom gehört?

Der Begriff ist umstritten, da sich Forscher nicht einig sind, ob die Kaiserin nun an einer agitierten Depression oder eine Sonderform der Magersucht mit Zwangsstörungen litt. Davon abgesehen, zeigte sie aber ein Verhalten, das die Agitiertheit bei Depressionen optimal beschreibt:

Allgemein zeichnet sich der als Sissi-Syndrom benannte Symptomkomplex durch Depressionen, Hyperaktivität, kontrolliertes Essverhalten, ständige Rastlosigkeit und einen fast wahnhaften Körperkult aus. Die Bezeichnung Sissi-Syndrom wurde in der zitierten Werbeanzeige verwendet, weil die im 19. Jahrhundert lebende österreichische Kaiserin Sissi an diesen Symptomen litt.

Die Kaiserin war zeitlebens depressiv, zeigte dies jedoch nicht öffentlich. Vielmehr verdeckte sie ihre depressive Grundstimmung mit ständiger körperlicher Aktivität und mit einem Schönheitskult. Sie versuchte durch permanente Diäten und intensive sportliche Betätigung, ihren Körper schlank und jung zu halten. Weltweit leiden viele Millionen Menschen, besonders Frauen, an ähnlichen Symptomen.“ (4)

Du bist völlig gefangen darin, deine beruflichen und sportlichen Ziele zu erreichen. Auffällig ist vor allem Dein Zwang nach Perfektion in allen Bereichen. Zum Beispiel ist Dein Gesundheitsbewusstsein dermaßen übertrieben, dass Du extrem viel Sport machst oder Diäten über Diäten durchziehst – aber nicht in einem gesunden Ausmaß, sondern so krankhaft, dass es sich negativ auf Deine Gesundheit auswirkt.

 

Agitierte Depressionen sind schwer zu erkennen

Genauso wie bei der hochfunktionalen Depression oder der Lächelnden Depression sind agitiert Depressive schwer zu identifizieren. Sowohl für Familie und Partner als auch für Dich als Betroffenen selbst. Innere Unruhe und körperliche Anspannung sind schließlich sehr allgemein.

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Sie können Ausdruck einer einfachen depressiven Verstimmung nach Schicksalsschlägen sein, sie können eine normale Reaktion auf Stress und Überforderung sein (beruflich und privat), sie können im Zuge einer anderen Erkrankung wie Angststörungen auftreten.

Für die Abklärung braucht es ausnahmslos und immer einen Facharzt, wie Psychiater, Neurologen oder Psychotherapeuten. Hilfreich ist auch der Austausch mit anderen Betroffenen, das hilft ungemein dabei, Dich selbst und die Krankheit besser zu verstehen.

 
 

Hast Du Dich in meinem Text wiedererkannt?

Dann bitte ich Dich ehrlich und inständig, Dir professionelle Hilfe zu suchen. Ich selbst habe viel zu lange gewartet und hätte so viele Langzeitschäden verhindern können, wenn ich mir früher meine Krankheit eingestanden hätte.

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Es gibt viele verschiedene Symptomkomplexe und Subtypen. Noch dazu kommt die unglaubliche Scham. Ich kann Dir aus eigener Erfahrung sagen, dass Depressionen nichts sind, was einfach so von selbst vergeht oder sich mit Globuli behandeln lässt. Depressionen sind nicht selten, sondern häufig – nur sprechen die wenigsten darüber.

 

Fazit: agitierte Depressionen

Depressionen haben viele Gesichter. Depressive Störungen sind komplizierte Krankheiten. Die Symptome müssen nicht in Reinform vorliegen.

Ganz im Gegenteil: Depressionen haben so viele Mischformen, wie es verschiedene Menschen gibt.

Was hilft bei agitierter Depression?

Die Leitlinien schlagen v.a. Psychopharmaka vor. Du selbst kannst dir am besten mit Bewegung helfen.

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Quellen:
1) Psychisch erkrankt: Wie zeigt sich Agitation bei Depression?
2) kanyo: Wie zeigt sich Agitation bei Depression? (Fachverlag Gesundheit und Medizin)
3) MedLexi: Sissi-Syndrom
4) Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression
5) Prof. Dr. med. Volker Faust: Ist die „Neue“ Depressionsform des „Sissi-Syndroms“ eine Ess-Störung?
6) Christina M. Eder: Was tun bei Agitiertheit? (Ärztezeitung)
7) Deutsche Depressionshilfe: Depressionen
8) Stangl Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik: agitierte Depression
9) Dr. med. Herman Ebel: Depressive Störungen bei Patienten der Allgemeinmedizin: Früherkennung und therapeutische Ansätze (Deutsches Ärzteblatt)
10) Lutz Urban: Agitierte Depression – Ursachen, Symptome, Therapie
11) ICD-10-WHO Version 2019 (aktualisiert am 22.04.2020)
12) Psylex Lexikon: Agitierte Depression

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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